Begegnung im Garten

Landkärtchen, Schmetterling, Schmetterlingsgeschichte, mariposa
Landkärtchen, © Myriams-Fotos, Pixabay
Landkärtchen, Schmetterling, Schmetterlingsgeschichte, mariposa
Landkärtchen, © jggrz, Pixabay

Neulich bekam ich Besuch in meinem Garten. Ganz überraschend war er da, ohne Einladung, aber trotzdem herzlich willkommen. Ein Schmetterling. Er tanzte über meinem Kräuterbeet, favorisierte gerade die Pfefferminze, flatterte von Rispe zu Rispe mit den unscheinbaren rosa Blüten, nahm an Nektar mit, was noch übrig war, die Hummeln und Bienen waren ebenfalls fleißig dabei, alles an Nahrung wegzuschleppen. Nun ist ein Schmetterling nichts Außergewöhnliches in unseren Breitengraden, obwohl ich in den letzten verregneten Sommern keinen mehr gesehen hatte. Jetzt aber schien die Sonne schon seit vielen Tagen und plötzlich waren sie alle da. Zitronenfalter, Kohlweißlinge, Pfauenaugen und nun auch der kleine Unbekannte. Ich sah ihm eine Weile zu. Er trug einen schwarzbraunen Anzug mit einer Rüschenkante aus rostroten Bändern und cremefarbener Spitze. Vielleicht war er damit modisch ein wenig seiner Zeit voraus, doch stand ihm die Bekleidung nicht schlecht. Ich sah ihm noch ein Weilchen zu, wie er die Blüten prüfte, bei Leerstand zur nächsten wechselte.

 

Er hatte sich nicht vorgestellt, daher wollte ich wissen, wer mich hier so freundlich mit seiner Anwesenheit beehrte. Ich fand ihn auch recht schnell, dank des Internets. Aber was war das? Den kannte ich doch sonst ganz anders! Ein Landkärtchen sollte das sein? Sahen die nicht hellbraun aus? Hellbraun mit dunklen Flecken und Bändern? Ich hatte sie früher häufiger in meinem Garten gesehen. Und dann konnte ich lesen, dass sich dieser kleine Falter extra für den Sommer einen Kleiderwechsel leistet. Zugegeben – ich trage im Frühling, Herbst und Winter auch andere Bekleidung als im Sommer. Aber muss man es als Schmetterling denn so maßlos übertreiben? Die hellbraunen Exemplare, so konnte ich erfahren, waren aus den Puppen gekrabbelt, die den Winter überdauert hatten. Die hübschen dunklen hingegen entstammten der Sommergeneration, was selbst Falter-Experten noch nicht sehr lange wussten, waren sie doch anfangs aufgrund der verschiedenen Erscheinungsformen von zwei Arten ausgegangen. Vielleicht stammte dieser Falter sogar aus meinem Garten. Er liebt, so stand es da geschrieben, Brennnesseln als Futter für die Raupen und legt dort praktischerweise an Ort und Stelle die Eier ab. Na, dann bekam meine Unkrautecke mit den vielen Nesseln, von mir bislang als Schandfleck empfunden, jetzt sogar einen Sinn. Dem Falter jedenfalls gefiel es offensichtlich in meinem etwas verwilderten Garten. Am nächsten Tag war er wieder da, pünktlich zum Mittagessen. Neue Blumen waren aufgeblüht, er musste die Zeit gut nutzen, die Konkurrenz war ebenfalls da. Aber er ließ sich auch dieses Mal nicht von den Hummeln irritieren, in fröhlicher Koexistenz wurden alle Blüten geprüft.

 

Er sah wirklich hübsch aus in seinem Sommerkleid. Aber woher stammte dieser seltsame Name? Landkärtchen – nicht gerade gebräuchlich für einen Schmetterling. Auch darauf bekam ich eine Antwort. Die Unterseite seiner Flügel zeigt, wenn man genauer hinschaut, so etwas wie eine Straßenkarte. Und tatsächlich: Eine Route heller Wege schien sich auf rostrotem Grund zu verzweigen und ins Nirgendwo zu führen. Sie erinnerte mich an meine Unfähigkeit, Straßenkarten vernünftig zu lesen und deshalb nicht selten mein Ziel zu verfehlen. Zum Glück gibt es heute das Navi und auch mein kleiner Falter schien eins eingebaut zu haben, dass er so punktgenau meinen Kräutergarten finden konnte. Er blieb noch ein wenig bei mir, dann drehte er ab und verschwand, war vermutlich auf der Suche nach weiteren blühenden Pflanzen in der Nachbarschaft. Es folgte ein bedeckter Tag. Keine Sonne, kein Schmetterling. Er schien ein Sonnenanbeter zu sein. Er kam wieder, als die Steinminze blühte, die wie immer ein Anziehungspunkt ist für Nektarsammler aller Arten. Und dann, Stunden später, entdeckte ich ihn wieder, aber in welch einer misslichen Lage! Eine Spinne hatte ihr Netz an der Hauswand gesponnen. Und in diesem Netz hing mein Landkarten-Falter fest. Er zappelte in tiefer Verzweiflung, gefesselt von den klebrigen Fäden. Nun hat auch eine Spinne ein Anrecht auf ihr Mittagessen. Doch diesmal hatte sie Pech. Kein Landkarten-Falter á la carte. Ich empfahl ihr ein paar köstliche Brummer, es gab ja genug davon. Mit großer Vorsicht befreite ich den zarten Schmetterling, löste die Fäden von seinen Flügeln. Ich öffnete meine Hand, er orientierte sich nur kurz, dann flatterte er erleichtert davon. Ich sah ihn danach nicht mehr. Möglicherweise war er nun nach seiner eigenen Karte geflogen und wenn er mein Talent besitzt, dann findet er vielleicht meinen Garten nie mehr wieder.

 

© Text: Karin Tamcke