Dankesrede von Karin Oehl zur Verleihung ihres Rheinlandtalers

Ja, der Rheinlandtaler – nun habe ich ihn in den Händen und möchte mich für die Würdigung meiner mehr als  40-jährigen Arbeit für die Igel recht herzlich bedanken. Ich nehme die Auszeichnung auch stellvertretend für die vielen Ehrenamtler, die ebenso engagiert ihrer Arbeit nachgehen und die niemals so eine Ehrung erfahren. Meinem Mann danke ich, dass er die vielen Jahre mein Engagement mitgetragen hat und mich unterstützte und diesen Taler genauso verdient. Wir teilen alles, so auch diese Auszeichnung.

Der Taler zeigt das Haupt der Medusa. Wikipedia hält viele Erklärungen für das Wort Medusa bereit. In der griechischen Mythologie steht der Begriff für eine Strafe der Götter, als die schöne Medusa von Pallas Athene zum Ungeheuer verwandelt wurde. Das Bild der Medusa sollte Angst machen, vom rechten Wege abzugehen. Heutige Künstler wie Wolfgang Reuter haben ihr aber menschliche Züge gegeben, deren Symbolkraft unser Tun bestimmen sollte.

Da sind die weit geöffneten Augen. Auch ich sehe mit meinen noch offenen Augen viel zu viel, was bei uns im Argen liegt und dringend verbessert werden müsste. Da ist unsere Umwelt, der ungeheure Verbrauch von Lebensraum für uns Menschen, die Gleichgültigkeit und Unachtsamkeit gegenüber Pflanzen und Tieren. Es hängt doch alles zusammen Wir haben durch unsere Lebensweise in den letzten 50 Jahren mehr Arten ausgelöscht als in den letzten 1000 Jahren. Die Augen können das Erschrecken darüber nicht annähernd ausdrücken. Im Fernsehen habe ich neulich einen sehr wahren Satz gehört, den ich hier wiederholen möchte: Was weiß die Jungend schon von unserer Schönheit der Natur? Sie lernt sie ja nicht mal mehr kennen, da vieles in ihrer Umgebung schon gar nicht mehr existiert. Was man nicht kennt, wird leider auch nicht vermisst.

Der Mund der Medusa ist weit geöffnet und  auch ich kann die Klappe immer noch nicht halten. Von dem Haupt gehen so viele sich windende Tiere aus. Möge es bedeuten, dass aus dem Haupt, dem Mund, etwas auf fruchtbaren Boden fällt, was ich in vielen Jahren versucht habe in Vorträgen, Schulungen und Erklärungen, Ermahnungen weiterzugeben.

Natürlich ist es schön, so eine Ehrung zu erfahren, aber viel wichtiger wäre es mir, dass mein Anliegen für diese Tiere auf fruchtbaren Boden nachhaltig fällt. Das war und ist mir noch immer sehr wichtig. Solange ich reden kann, werde ich weiter informieren, auch wenn ich die Igelstation aus Alters- und Gesundheitsgründen nicht weiter führen kann wie bisher. Leider konnte ich mangels ausreichend qualifizierter Nachfolge nicht so wie geplant schließen bei dem hohen Bedarf, von dem sich die hier Anwesenden außer meinen Kolleginnen kaum ein Bild machen können.

Zur Igelstationsarbeit kam ich wie eine Jungfrau zum Kind vor so vielen Jahren, da kannten wir viele Dinge noch gar nicht. Es war die Zeit der beginnenden Flurbereinigung; Landwirtschaftliche Flächen wurden zu monotonen riesengroßen Agrarlandschaften umgewandelt und die Segnungen der Chemie wurden gern und relativ kritiklos eingesetzt. Die Auswirkungen auf die Tier- und Pflanzenwelt wurde bewusst in Kauf genommen zu Gunsten höherer Erträge. Die Kriegs- und Nachkriegsjahre haben den Hunger nach besserem Leben so groß werden lassen und es wurde gebaut. Immer mehr Straßen durchzogen die Landschaft und daran hat sich bis heute nichts geändert. Der Individualverkehr hat gewaltig zugenommen. Immer kleiner wurden die Lebensräume der Tiere und Pflanzen. Arten verschwanden und wurden zurückgedrängt. Achtlos bezeichneten wir sie als Unkraut und rissen sie aus, bekämpften sie mit Giften. In den Gärten nehmen immer mehr biologisch wertlose, aber uns schön erscheinende Pflanzen Raum ein. Aus Bequemlichkeit nehmen die so leblosen, ordentlichen, sterilen Steingärten immer mehr zu. Die Steine dieser Gärten heizen sich im Sommer so auf und belasten noch mehr die Städte. Ärgerten wir uns damals über die mit Insektenleichen verschmutzen Autoscheiben schon bei kurzen Fahrten, vermissen wir die heute nicht. Inzwischen schlagen große Umweltverbände Alarm, dass es zu so einem Artenrückgang unter den Insekten gekommen ist. Vorrangig werden die Vögel genannt, die kaum Futter finden, um ihre Jungen aufzuziehen.

Wer denkt an die Insektenfresser am Boden? Und damit sind wir bei den Igeln. Da es ja kleine dämmerungsaktive Kobolde sind, sieht man einen gesunden Igel am Tag so gut wie nie. Jeder kennt sein Aussehen, er ist schon sehr lange ein Sympathieträger. Aber noch heute wissen die Menschen zu wenig über seine Bedürfnisse, Lebensweise und Ansprüche an die Nahrung. Gerade im Herbst ist das Thema Igel in allen Medien präsent, leider meist nicht sachlich informativ, eher verwirrend und Fehler werden nicht zu Wahrheiten, wenn man sie nur oft genug wiederholt.

Als ich die ersten Igel fand oder bekam, starben sie alle. Ich wusste nicht, dass sie krank waren, keine Milch trinken durften. Man machte das so und ich machte es, ohne nachzudenken, nach. So geht es noch heute und darum wäre es so wichtig, wenn sachlich richtige Informationen, wie sie Pro Igel auf wissenschaftlicher Basis vermittelt, noch viel weitere Verbreitung fände. So lassen heute noch viel zu viele Igel ihr Leben, weil man es gut mit ihnen meint, aber nicht gut macht. Das gilt auch für Tierärzte, in deren Ausbildung dieses am häufigsten in der Praxis vorgestellte Wildtier keinen Raum einnimmt. Na ja, Igel bringen ja auch mehr Flöhe als Mäuse (Geld) in die Praxis. Aber es gibt doch eine tierärztliche Ethik, und Igel sind wie Hunde und Katzen auch leidensfähige Tiere, denen wir häufig so zusetzen, sie gefährden und verletzen, ihnen die Lebensräume immer mehr einschränken und ihnen die Nahrungsvielfalt so nehmen.

Leben hat doch einen Wert in sich und es gibt kein Leben zweiter und dritter Klasse. Verflixt, wir haben doch alle die ethische Verpflichtung, einem in Not geratenen Individuum so sachkundig wie möglich zu helfen, dass es seinen Platz im Kreislauf der Natur  wieder einnehmen kann oder auch sein Leben, wenn es fürchterlich leidet, sich so human wie möglich zu beenden.

Das, was ich im Laufe der Jahre in der Station zu sehen bekam, hat absolut nichts mit natürlicher Auslese zu tun, wie es oft lapidar ausgesprochen wird. Individualhilfe ist kein Artenschutz. Aber aus der Notwendigkeit der Individualhilfe wächst doch die Einsicht, dass wir mit unserer Natur, den Geschöpfen sorgsamer umgehen müssen.

Als ich die ersten Igel gebracht bekam, ging es fast ausschließlich um Individualhilfe. Bald erkannte ich, dass wir damit an einem Symptom arbeiten, aber nicht an der Krankheit, Also begann ich mich zu informieren und diese Informationen weiterzugeben, nicht nur an Igelfinder, die mit ihrem Malheurchen vor mir standen und dann für Aufklärung besonders empfänglich sind, sondern ich begann Vorträge zu halten, Info-Stände zu machen. Meine Suche nach Menschen, die sich schon länger mit der Materie beschäftigten, begann, führte zu immer mehr Kontakten und einige von ihnen weiß ich in dieser Feierstunde an meiner Seite. Ein kleiner Verein, den ich mit begründete, überlebte leider nicht. Zum Glück entstand Pro Igel e.V. ein Verein, dem ich noch heute angehöre. Es geht darum, die Kenntnisse zum Igel zu vertiefen, neue Erkenntnisse zu gewinnen und öffentlich zu machen. Das bleibt mein Anliegen, bes. wenn ich öffentliche Veranstaltungen wie Tierheimfeste mit Info-Ständen besuche, Vorträge halte, wenn ich tiermedizinische Fachangestellte und Tierpfleger ausbilde und Tierärzte berate. Oft schon stand ich mit meinem kleinen Stand auf Kleintierkongressen und habe viele informative Gespräche geführt.

Ich betreue im Netz das Igelhilfe-Forum, wo Igelfinder zeitnah und individuell beraten werden, zusammen mit Kollegen.

Der Jahreszugang von Tieren in meiner Station in so hoher Zahl wie in den letzten Jahren  (um die 400) ist für mich zu belastend geworden, zeigt sich doch, dass der Bedarf sehr groß ist. Es ist nicht mehr wie früher ein saisonales Geschäft, sondern ganzjährig erforderlich. Krankheiten und Verletzungen betreffen nicht nur Jungtiere und sind nicht an Jahreszeiten gebunden. Ebenso wenig an Uhrzeiten, Öffnungszeiten und Tageszeiten. Die Anspruchshaltung der Finder und das fordernde Auftreten, kombiniert mit der geringer werdenden Bereitschaft zur Eigeninitiative, ist häufig belastender als die Arbeit mit den Tieren. Dabei sind die meisten Stationen Privatinitiativen, die sowohl Sachkunde, Zeitaufwand und auch viel finanzielle Mittel einbringen, denn mit Zuckerwasser und drüber pusten wird kein krankes Tier gesund und groß.

Es wäre mir ein Anliegen, wenn Igelstationen wie Tierheime öffentlichen Einrichtungen oder diesen angegliedert würden mit geschulten, sachkundigen Mitarbeitern und Tierärzten. Der Begriff Igelstation ist nicht geschützt und sagt nichts über die Qualifikation der Betreiber aus. Zu geringe Kenntnisse gehen immer zu Lasten der Tiere. Finder sollten sich darüber klar sein, dass sie mit der Aufnahme notleidender Tiere eine Verantwortung übernehmen. Mit einem Weiterreichen oder Abgeben ist es meist nicht getan.

In den mehr als 40 Jahren meiner Arbeit für den Igel hat sich so viel angestaut, ich könnte unbegrenzt weiter reden. Es ist nicht nur ach wie süüüüüß! Ich habe noch eine große Bitte vor allem an die Politik: Mit Sonntagsreden und Lippenbekenntnissen ist nichts getan. Tier- und Naturschutz sind so wichtig, auch wenn sie Geld kosten. Nehmt den Artenrückgang ernst! Lasst die pflegeleichten Schottergärten nicht zu, es rächt sich spätestens in ein paar Jahren. Hört auf, ganze Wohnviertel mit diesen grauenhaften Gabionen abzugrenzen. Wie viel lebendiger und Lebensraum schaffender sind doch Wallhecken mit lebendigem Grün … Es wirkt klimaregulierend, während Steine überhitzen und die Wärme in den Städten noch verstärken.

Ich erbitte nachdrückliche Hinweise auf die Gefahren, die von den motorgetriebenen Gartengeräten ausgehen. Natürlich winden sich die Hersteller und Vertreiber aus pekuniären Gründen, die Dinger sind ein Renner. Die damit verstümmelten und getöteten Tiere in die Hand zu bekommen, macht uns Igelleuten Wut und ist unerträglich. Mit mehr Achtsamkeit wäre das Elend zu vermeiden. Zäune sollten Abstand vom Boden haben, damit Tiere dadurch einen größeren Lebensraum nutzen können. Gifte in den Hausgärten sind zu verbieten. Teiche mit steilen Rändern brauchen Ausstiegshilfen und müssen kontrolliert werden. Das Gleiche gilt für Kellerschächte. Netze über Bäume und Beerensträucher dürfen nicht bis zum Boden reichen. Brauchtumsfeuer sind zu kontrollieren und vor dem Entzünden umzusetzen.

Achtsamkeit im Verkehr könnte viele Tieropfer vermeiden. Wenn man allein bedenkt, wie viele Jungtiere verludern, weil ihre Mütter verunglücken. Wichtig ist, immer und immer wieder in den Medien das Thema aufzugreifen und zu informieren. Der Mund der Medusa ist offen, irgendwann wird er geschlossen sein. Aber ich hoffe aus den Schlangen, die dem Haupt entspringen, dass viele Medusen nachrückten und mit offenem Mund, offenen Augen weiter informieren und nicht still sind. Mögen sie das Engagement weitertragen und darauf achten, dass wir noch lange eine lebendige Welt erleben und weitergeben dürfen.

 

Danke

Karin Oehl

 © Karin Oehl und Mariposa Verlag