Waidmannsheil – eine wahre Geschichte

29.Mai 2019


Es ist gegen Abend. Ein Schuss fällt. Aha, der Jäger. Nach einer Weile, ganz in der Nähe meines Hauses, noch ein Schuss. Das hat wohl nicht gut geklappt, denke ich und gehe an das Fenster, von dem aus ich manchmal die Tiere von Feld und Wald beobachte. Hasen, Rehe, Vögel, einmal auch ein Wiesel, selten einen Fuchs. Am Fenster hängt zu diesem Zweck mein Fernglas.

Ich schaue aus dem Fenster, nichts zu sehen, alles ist ruhig. Nach einer Weile aber doch. Von dem nahen Hochstand klettert jetzt der Jäger, nimmt einen sehr langen Stock und geht langsam an dem kleinen Bach entlang. Vielleicht sechzig Meter. Er geht vorsichtig, wird für mich von einem Busch verdeckt, taucht wieder auf. Auf einmal beugt er sich nach vorn. Ich nehme mein Fernglas, sehe, wie er zögert. 

Und dann holt er aus mit dem langen Stock, schlägt zu, stößt zu. Immer wieder. Vielleicht zwanzig Mal und mehr. Er hält ein, stößt wieder zu. 

Es muss ein schweres Sterben sein, das dort geschieht.

Ich sehe nur ihn und das Zustoßen seines Stockes, alles andere ist vom hohen Gras verdeckt. Dann bückt er sich. Scheinbar hat er sein Werk vollbracht. Ich sehe, wie er sich aufrichtet, etwas hinter sich herzieht und wieder in Richtung Hochstand geht. Vielleicht ein kleines Reh, vielleicht ein Fuchs? 

Am Hochstand bleibt er einen Moment stehen, bückt sich und betrachtet seine Beute. Dann nimmt er sein Gewehr, das am Hochstand lehnt, greift wieder zu dem jetzt hoffentlich toten Tier und schleift es hinter sich her bis zu seinem Auto.

Der Mensch, Krone der Schöpfung. Was für ein Gefühl muss es sein, frage ich mich, auf ein lebendes, lebenswarmes Geschöpf einzuschlagen, bis dieses endlich aufgibt? Stark? Selbstbewusst?

Überlegen über jede Kreatur? Waidmannsheil!

 

So geschehen am Mittwoch, den 29.5.2019, an einem friedlichen Abend im schönen Berchtesgadener Land.

 

© Helga Castellanos

Veröffentlichungen der Autorin im Mariposa Verlag: Vom einfachen Leben, Vom täglichen Leben